oder wir bringe ich Weihnachten in Ostfriesland durcheinander.
Angespornt durch die 23. Weihnachtsgeschichte von Mizzie aus Kiel erzähle ich euch eine Weihnachtsgeschichte aus meinem Leben, um genau zu sein, die von 1996.
Im Laufe der Zeit habe ich mir Weihnachten eigentlich abgewöhnt, besonders das Geschenke kaufen. Es gibt nur eins und das ist für mich. Das praktiziere ich schon seit fast 20 Jahren recht erfolgreich. Gerade in der Weihnachtszeit wandle ich mich zum Konsumverweigerer.
Angefangen hat alles im Februar 1996, da habe ich M. auf dem Filmball in Dresden, also meinem dritten Leben, kennengelernt. Sie wurde mir von Dr. F. als neuer Aufriss mit den Worten vorgestellt: „Das ist M. aus Ostfriesland.“ Vor mir stand ein leicht untersetztes, blondes Girl mit Angelika Milsterfrisur. „Sie ist leicht angetrunken, aber wer ist das nicht um diese Uhrzeit?“ fuhr der in Zahncreme machende Dr. fort. „Ich würde das hackendicht nennen“, so meine Erwiderung nach einem kurzen, musternden Blick. M. quittierte meine Bemerkung mit einem breiten Grinsen, was von Ohr zu Ohr reichte. Seit dieser Zusammenkunft bin ich der Meinung, dass der Alkoholkonsum in Ostfriesland mindestens doppelt so hoch sein musste, wie im Rest der Republik.
Das Jahr 96 plätscherte so dahin, die im Februar eingegangene zwischenmenschliche Beziehung von M. und Dr. F. fing schnell an zu kriseln und war dann im Sommer zu Ende. M. liefert ungefragt die Begründung: „Ein Mann der nach zwei doppelten Doppelkorn und zwei Bier schon volltrunken ist, ist kein Mann für mich, der überlebt den ersten Ostfrieslandbesuch nicht.“ Diese Behauptung festigte meine Vorstellungen über den ostfriesischen Konsum von alkoholisierten Getränken.
So verbrachten M. und ich den Herbst und einige Freizeit in diversen Dresdner Kneipen mit dem Austausch von schönen Geschichten aus der noch schöneren Norddeutschen Heimat bei reichlich Ramazotti und Bier.Irgendwann stand dann ein Gemeinsamer Kinoabend auf dem Programm, gegeben wurde Werner Teil II im Rundkino auf der Prager Strasse. Treffpunkt war zwei Stunden vor dem Kino um mal die örtlichen Gluehweinbuden zu testen. Treffen Dinge wie Frauen und Weihnachten zusammen und die Wirkung von Glühwein setzte ein, dann wird Frauenseite leicht sentimental und bettelte um Weihnachtsgeschenke von meiner Seite, was ich strikt ablehnte. Die Stunde würde ich überstehen, dann fängt Kino an und dann ist Ruhe und ich setzte auf den Trumpf Vergessen.
Wie das so ist, als Norddeutscher im Kino unter lauter Sachsen, keiner der 1.200 Anwesenden verstand Bauer Horst, mit seinem Plattdeutsch. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn du zu zweit in einem Kino lachst und dich 1.198 Augenpaare fragend anstarren, wenn du so laut gelacht hast. Dieses wiederum gab uns dem leicht angetrunkenen Zustand das Gefühl der Überlegenheit in der Fremde und bei jedem Auftritt von diesem Landwirt verzückte uns so, dass wir schon vor dem ersten gesprochenen Wort in lautes Gelächter ausgebrochen sind, mit dem Hintergedanken, es versteht ja eh keiner der Anwesenden. Niederdeutsche Sprechweise kann auch im Sachsenlande für gute Unterhaltung sorgen. Der Film war dann irgendwann aus und ich dachte schon gar nicht mehr an das Thema Weihnachtsgeschenke. Doch schon auf der Treppe des Kinoausganges ging die Quengelei wieder los. Begründung: Auch unter Freunden kann man sich ja mal was schenken.
Die Diskussion über die Vor- und Nachteilen von Schenkungen durchzog nun den gesamten Abend, die Nacht und die für uns üblichen Morgenstunden. Nach drei Kneipenbesuchen (warum müssen die schon immer um 1 h schließen), diversen Bieren und der damals üblichen Dosis Ramazotti willigte ich letztendlich ein, dieses Jahr ein Weihnachtsgeschenk zu besorgen. Mein Fehler. Wer jetzt dachte mein OK zum Weihnachtsgeschenk wurde mir die restlichen drei Weihnachtsvorwochen Ruhe bescheren, der täuscht. Bei jeder Zusammenkunft, egal ob telefonisch oder persönlich wurde ich auf das von mit Zugesagte angesprochen. Aus dieser Nummer konnte ich nur mit einem Weihnachtsgeschenk wirklich rauskommen, so machte ich mir ein paar Tage später Gedanken, was ich denn nun käuflich erwerben muss, damit ich meinem Versprechen nachkommen könnte. Mein Tatendrang wurde am Montag sofort in die Tat umgesetzt, ich frequentierte die Postfiliale meines Vertrauens und erwarb eine gelbes Postpaket mittlerer Größe. Auch die Zusatzausgaben für den Aufkleber „Weihnachtspost, erst Heiligabend öffnen“ scheute ich nicht. Im Büro angekommen, suchte ich erstmal alle Vorräte an Werbematerial wie Feuerzeuge, Kugelschreiber, Schlüsselanhänger Blöcke und was sich noch so auftreiben lässt, zusammen. Die eigentlich für mich gedachte Dose mit den Nürnberger Lebkuchen fand auch noch den Weg ins Paket. Lebkuchen aus der Frankenmetropole schmecken eh nicht, werden allgemein überschätzt und halten dem Vergleich mit Pulsnitzer Pfefferkuchen, besser bekannt unter Pulsnitzer Spitzen, auf keinen Fall stand, also kein Verlust. Ungeordnet und unverpackt lag nun alles im Karton des deutschen Versenders. Eine Kleinigkeit wollte ich noch besorgen, das aber erst am Dienstag. Faul wie ich nun mal bin, trug ich alles zum Empfang und fragte nach, ob es in diesen Büro Geschenkpapier geben würde. Nein, war die Antwort, so verabschiedete ich mich von einem Zehnmarkschein aus meinem Besitz mit den Worten: „Bitte für Morgen etwas besorgen und alles fachgerecht einpacken“. „Nu, geht gloar“ vernahm ich im breitestem sächsisch von Frau W. Nu bedeutet übersetzt Ja.
Am Dienstag begutachtete ich das Paket und die Einpackkünste von Frau W. und befand es als zu leicht, ich hatte Angst, dass es als zu wenig wertvoll zurückgewiesen werden könnte. Etwas wie ein Stein musste zum beschweren her, was aber keine leichte Aufgabe was, weil ich das geheizte Office gegen nasse Kälte tauschen müsste. „Das Branchenbuch von 92/93 brauchen wir nicht wirklich mehr, oder“? „Also einpacken und mit ins Paket“ so meine knappe Anweisung, ohne zu ahnen, was ich damit ein paar Tage später anrichten würde. „Bringen Sie das dann bitte noch heute zur Post, dafür dürfen sie dann auch 30 Min früher gehen“ bemerkte ich noch und hatte damit das Thema Weihnachtsgeschenke 1996 beendet. Stolz griff ich am späten Nachmittag zu Telefonhörer um M. zu verkünden, Auftrag erledigt, Weihnachtsgeschenk besorgt, fachgerecht verpackt, es kann nichts mehr schiefgehen, ohne zu wissen, dass ich mir mit diesem Anruf wieder neuen Stress an den Hals geholt habe.
Fortan klingelte drei mal täglich das Telefon bei mir und ich musste mir diverse Fragen nach der Konsistenz, Größe, Gewicht, Farbe und Beschaffenheit des Geschenkes anhören. „Kann ich das dann vorher schon mal befühlen“ wurde mir öfter als Frage gestellt. „Was kann ich damit anfangen, kann ich es anziehen“? Waren auch immer gern gestellte Fragen in diesen Tagen. Und ob sie es denn schon am 23. abholen könnte, wenn sie nach Ostfriesland fahren würde, oder besser am Abend vorher, damit sie morgens nicht mehr so hetzten musste. „M. wenn ich dir das Geschenk am Abreisetag in die Hand drücke, dann überlebt es die erst rote Ampelphase in Dresden nicht und die ganze Überraschung ist hin“ so meine gebetsmühlenartige Wiederholung am Telefon. Vier Tage vor Weihnachten war ich dann erlöst, als ein erneuter Anruf von M kam: „Du hast mir das Paket ja nach Hause geschickt. Lollo (Mutter) sagt mir aber nicht wie groß und wie schwer das ist, selbst schütteln wollte sie es nicht. Und wo sie es versteckt hat will sie mir auch nicht sagen“! „M. das ist ein Weihnachtsgeschenk, Weihnachten beginnt bekanntlich am Heiligen Abend, nicht vorher“. Ich war mir sicher, das ich im mehr als 600 km entfernten Ostfriesland eine starke Verbündete hatte. Fortan hatte ich Ruhe, der Abschiedsabend war wieder wie im Herbst, also reichlich Ramazotti und Bier, wie immer unterlegt mit einem guten Essen zu Beginn und keine nervende Fragen nach irgendwelchen Geschenken.
Heiligabend rechnete ich mit wütenden Protestanrufen, diese blieben aber aus. Dafür klingelte das Handy schon frueh am ersten Weihnachtstag vor dem Frühstück. Es gab folgendes Gespräch:
M: Moin, danke fürs Geschenk.
A: Moin auch, wie war der gestrige Abend.
M: Harmonisch wie lange nicht.
A: Keine familiären Streitereien?
M: Noe, wir hatten zu tun.
A: ?? und keine alkoholbedingten Ausfälle?
M: Nö, wir haben uns alle sehr konzentriert?
A: Warum das?
M: Naja, das mit dem Branchenbuch haben wir nicht verstanden, ich wollt auch fragen, was genau du damit jetzt gemeint hast?
A: Wie, was, nix natürlich
M: Naja, alle waren der Meinung, das du damit was andeuten wolltest, also so Geschenkemässig. Also ich hab erstmal eine halbe Stunde das Branchenbuch durchgeblättert um einen hinweis zu finden. Ich habe nichts gefunden. Dann hat sich mein Bruder auch versucht, der hat aber auch nichts gefunden. Dann haben wir gedacht wir müssen das gründlich machen und haben uns alle an den großen Tisch gesetzt und bei „A“ angefangen. Wir haben vier Stunden im Dresdner Branchenbuch gelesen, aber nichts gefunden, dabei haben wir die Nürnberger Lebkuchen gegessen. Was war jetzt der Hinweis, den wir nicht gefunden haben?
Jeder der in den 70er Jahren die Show: Am laufenden Band geschaut hat, wird sich erinnern, das es als Preis immer ein Branchenbuch gab, welches aufgeblättert wurde und der Kandidat mit verbundenen Augen seinen Finger in die Seiten stecken konnte. Von der ausgewählten Branche gab es dann einen Preis für den Kandidaten. Interessant war in diesem Zusammenhang der erste Kandidat der auf Immobilien getippt hatte und vom Sender ein Haus bekam. Das hatte ich in der ostfriesischen Familie eingeprägt. Das Gespräch ging dann weister:
A: Nö, eigentlich habe ich das nur einpacken lassen weil mir das Paket zu leicht vorkam. Das ist alles.
M: Wirklich kein versteckter Hinweis?
A: Nein, keine Hintergedanken. Wie wars sonst so?
M: Gut, kein Streit, keiner war betrunken. Wir kennen jetzt alle Dresdner Branchen. So harmonisch war das lange nicht
A: Ist doch fein, also ein wirkliches Fest der Liebe. Wir sehen uns dann an Silvester, zu Party.
M: Jo, mog wie, viel Spaß noch an Weihnachten. Lollo bedankt sich auch, ich soll dir noch reichlich Schwarzbrot, Katenschinken und Mettwurst mitbringen, so als Dankeschön für den Abend. Ich besorge das dann am Tag wenn ich wieder komme, damit alles frisch ist. Sie fand, dass es das schönste Weihnachtsfest seit Jahren war.
A: Klasse, dann machen wir Norddeutsches Abendbrot mit Tee und so bei mir, wenn du wieder da bist.
M: Jo, Tschüss.
A: Tschüss.
Mir war nicht klar, das sich Dresdner Branchenbücher der Jahre 92/93 so für den Familienfrieden in Ostfriesland eignen und ich so gut rauskomme aus der Sache.
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